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Interview mit Roland Lowinger, 9. Dan Shotokan, Bundeskampfrichterreferent
Roland Lowinger ist Deutschlands oberster Kampfrichter. Im ersten Teil des großen Interviews spricht der 71-Jährige über einen EM-Kampf, der ihn noch heute beschäftigt, und über Standfestigkeit in tobenden Arenen. Aufgezeichnet von Dirk Kaiser.
Besprechung im Kreise der Kollegen und Kolleginnen bei der Deutschen Meisterschaft in Hamburg
Seit 52 Jahren ist Roland Lowinger, 71, dem Karatesport verbunden. Zunächst als Aktiver, dekoriert mit Nationalmannschafts-Lorbeer und dem Titel des Vize-Europameisters im Team-Wettbewerb 1973, danach als Funktionär (ab 1978 unter anderem Bayerischer Landessportwart und 1. Vorsitzender des Bezirks Schwaben im Bayerischen Karate Bund) sowie Kampfrichter, der es bis in die höchsten Gremien des Europa- und des Weltverbandes geschafft hat. Als ehemaliger Vorsitzender (Chairman) der Sport-Referee-Kommission und jetziger Councelor der World Karate Federation (WKF) in der Referee-Kommission und als ehemals Mitglied der Kampfrichter-Kommission der European Karate Federation (EKF) ist seine Expertise gefragt.
Die Olympischen Spiele 2020 in Tokio hätten für den Träger des Bundesverdienstkreuzes der Abschluss und der Höhepunkt seiner langen und überaus erfolgreichen Laufbahn sein sollen. Ob Lowinger, seit 2018 Träger des 9. DAN, im kommenden Jahr im Mutterland des Karatesports dabei sein wird, ist ungewiss. Im großen Interview spricht der passionierte Motorradfahrer (BMW R1200R) über die womöglich entgangene Olympia-Chance, die elementare Bedeutung des Auges, die Körpersprache, das Kennen des Regelwerkes und das Mitbringen einer gewissen Leidenschaft für die Ausübung seiner Tätigkeit als Kampfrichter – und einen Europameisterschafts-Kampf, der ihn bis heute noch ärgert.
Herr Lowinger, wie geht es Ihnen zurzeit?
"Soweit gut. Mir fehlt jedoch das Training."
Wie verbringen Sie die Tage ohne Karate?
"Meine Frau und ich steigen so langsam vom Motorrad aufs Fahrradfahren um. Das bedeutet, dass wir viel an der frischen Luft sind. Zudem habe ich als Präsident des TV Kempten (mit 5.000 Mitgliedern einer der größten Vereine im Südwesten der Republik, Anm. d. Autors) einiges zu tun – insbesondere in diesen Zeiten."
Olympia ist auf das kommende Jahr verschoben worden. Werden Sie mit von der Partie sein?
"Zum jetzigen Zeitpunkt ist das noch komplett offen – zumal die Kampfrichter und Kampfrichterinnen, die für 2020 vorgesehen waren, nicht automatisch für 2021 gesetzt sind. In einer Video-Konferenz wurde uns unlängst mitgeteilt, dass sich das zuständige Gremium Gedanken macht, wie eine Nominierung für kommendes Jahr aussehen könnte – vor dem Hintergrund, dass es in diesem Jahr voraussichtlich keine Wettkämpfe mehr geben wird."
"DIE REAKTION MUSS BLITZSCHNELL ERFOLGEN"
Wäre die Olympia-Teilnahme nicht der Höhepunkt in Ihrer langen Laufbahn als Kampfrichter?
"Sicherlich, aber es kommt auch auf meine kritische Stimmung an. Sollte ich merken, dass mein Auge nachlässt, dass ich Fehler bei der Beobachtung und meinen Entscheidungen mache, dann höre ich sofort auf. Das ist für mich eine Ehrensache gegenüber den Athleten und Athletinnen."
Sind die Augen das wichtigste Organ oder spielt nicht vielmehr die Gesamt-Konstitution eine entscheidende Rolle?
"Das alles ist miteinander verzahnt. Es muss aber nicht nur die Sehkraft gut sein, sondern auch die Umsetzung dessen, was du siehst. Die Reaktion muss blitzschnell erfolgen. Wenn du zu oft den Kampf unterbrechen musst, dann geht niemand mehr mit dir mit. Ein geschultes Auge ist folglich enorm wichtig. Hinzu kommt als weiterer wichtiger Faktor die Körpersprache. Wenn hunderte von Menschen toben, dann musst du dein Ding machen – egal, wie laut es um dich herum ist. Zur Körpersprache zählt auch, wie standfest du bist. Wenn du einmal umkippst und dem Publikum nachgibst, obwohl es nicht deine Überzeugung ist und gegen das Regelwerk ist, dann hast du verloren."
Gab es in Ihrer langen Laufbahn eine solche Situation, in der Sie umgekippt sind?
"Nein. Als Kampfrichter erhältst Du 50 Prozent Zustimmung, die anderen 50 Prozent sind diejenigen, die gegen dich beziehungsweise gegen die Entscheidung sind. Allerdings hängt mir ein Kampf bei einer Europameisterschaft, die schon längere Zeit zurückliegt, noch immer nach."
Welcher war das?
"Frankreich gegen das damalige Jugoslawien – es war einer der schwierigsten Kämpfe in meiner langen Laufbahn. Und es ging um die Bronze-Medaille."
Was ist damals in Österreich passiert?
"Ich hatte gerade die Prüfung zum Referee bestanden – und musste im Team-Wettbewerb fünf Kämpfe hintereinander absolvieren (heute wird nach einem Kampf gewechselt, Anm. d. Autors). Zudem gab es damals nur einen Haupt-Kampfrichter, einen Seiten-Kampfrichter, der dir gegenüber war, und den Kansa. Die Attacke, die ich nie vergessen werde, lief wie folgt ab: Der Jugoslawe greift mit einem Uraken an. Und der Franzose antwortet darauf mit einem Konter mit Gyaku-Zuki. Für mich war klar, dass der Gyaku-Zuki zuerst stattgefunden hatte.
Um sicher zu gehen, habe ich den Seiten-Kampfrichter konsultiert – und der sagt zu mir, dass er den Uraken zuerst gesehen hat. Danach bin ich zum Kansa – und der sagte, dass er nichts gesehen habe."
Und wie fiel Ihr Urteil aus?
"Ich habe zugunsten von Frankreich entschieden, das letztlich auch den Team-Kampf und die Bronze-Medaille gewonnen hat. Ein paar Wochen später sehe ich ein Video mit exakt diesem Kampf – und ich sehe in der Zeitlupe, dass der Jugoslawe doch etwas früher drin war als der Franzose. Ich hatte eine Fehlentscheidung getroffen. Das ärgert mich heute noch."
Im zweiten Teil des Interviews spricht Roland Lowinger über seine Beweggründe, den Job des Kampfrichters auszuüben - und die Zusammenarbeit mit seinem Team und den Coaches. Mehr dazu demnächst auf karate.de.